Big Data für Banken: „Der Kunde als Individuum steht im Vordergrund“

12 April 2016

Big Data ist für Banken ein wichtiges und gleichermaßen anspruchsvolles Thema: Der individualisierten Customer Experience und Vorbeugung von Betrugsfällen stehen Datenschutz und damit verbunden ein enges Vertrauensverhältnis gegenüber, die zu den elementaren Entscheidungskriterien der Kunden gehören. Michael Eder, IT-Berater WidasConcepts, spricht im Experteninterview über Chancen und Zukunftsmodelle für Big Data bei Banken.

Wie wichtig ist Big Data für Banken?
Eder: Die Digitalisierung ist gegenwärtig wahrscheinlich das elementare Thema für Banken. Die Geschäfte der Banken werden einerseits sehr stark von verschiedenen kleinen, hoch spezialisierten FinTechs – moderne Finanz-Technologie-Dienstleister – angegriffen. Andererseits von den ganz großen Konzernen wie beispielsweise Google und Apple, die in bestimmte Bankgeschäfte wie den Zahlungsverkehr durch Mobile Payment eindringen. Dagegen müssen sich die Banken in irgendeiner Form wehren. Big Data ist ganz sicher ein wesentlicher technischer Treiber dafür.

Welche neuen Geschäftsmodelle entwickeln sich daraus?
Eder: Crowdsourcing und Crowdfinancing sind auf dem Markt aktuell zwei wichtige Schlagworte. Es gibt FinTechs, die in extrem kurzer Zeit einen Kredit anbieten oder als Vermittlungsplattform zwischen Anleger und Kreditsuchenden agieren. Dies ist möglich, da sie auf die klassische Bonitätsprüfung verzichten, wie sie eine Bank durchführt. Sie stützen eine Kreditentscheidung beispielsweise auf Social-Media-Analysen. Diese Plattformen werden dank Big-Data-Technologien kontinuierlich schlauer und damit gefährlicher für klassische Banken.

Wie können Banken auf diese neue Wettbewerbssituation reagieren?
Eder: Die Banken wollen ihre Kundengeschäfte behalten. Weil der Wettbewerbsdruck von zwei Seiten kommt, bleibt ihnen mittelfristig nichts anderes übrig, als ihre Angebote attraktiver zu gestalten. Die Erwartungen der Kunden wachsen immer mehr: Jeder will sehr schnell und einfach über alle Kanäle – auch mobil – seine Bankgeschäfte erledigen und persönlich beraten werden. Standardprodukte sind passé – die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden stehen zukünftig im Vordergrund. Gerade hier können die Banken anknüpfen.

Was heißt das konkret für die Kundenkommunikation der Banken?
Eder: Mit ihren langjährigen Kundenbeziehungen und dem daraus resultierenden Vertrauensverhältnis haben sie einen wichtigen Vorsprung gegenüber der aufkeimenden Konkurrenz. Zudem wissen Banken zum Beispiel durch Umsätze und Zahlungsverkehr sehr genau, mit wem der Kunde in Kontakt steht und welche Geschäftsbeziehungen er pflegt. Um dieses Wissen gezielt zu nutzen und die Masse an Informationen zu verarbeiten, sind Big-Data-Analysemethoden notwendig. Durch Big Data können sich Banken eine 360-Grad-Kundensicht verschaffen. Das bedeutet, dass sie Kunden viel zielgerichteter gewinnen, beraten und betreuen können und so eine ähnliche, individualisierte Customer Experience anbieten, wie es andere Branchen schon seit längerer Zeit tun. Damit lässt sich die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung nachweislich steigern.

Wofür können Banken dieses Wissen einsetzen?
Eder: Indem man den Kunden anhand verschiedener Kriterien wie Einkommen, Wohnort oder Risikobereitschaft in bestimmte Peer Groups einteilt, erhält man einen Überblick, welche Finanzprodukte diese Kundengruppe üblicherweise kauft. Im nächsten Schritt können denen, die gewisse Produkte nicht haben, maßgeschneiderte Angebote aus dem Portfolio der Bank unterbreitet werden. Durch dieses Cross Selling erhalten Kunden wertvolle Hinweise auf allen Kanälen, welche Produkte für sie interessant sein könnten, und zwar von Mobile- über Online-Banking bis zur Beratung in der Filiale. Der Kunde erhält dadurch ein für ihn sehr vorteilhaftes Gesamtpaket an Finanzprodukten, Dienstleistungen und Geschäftsfeldern. Jedoch sollte die Bank den Kunden fragen, ob er solche Analysen und Angebote überhaupt wünscht.

Welche neuen Möglichkeiten bietet Big Data den Banken darüber hinaus noch?
Eder: Mit Big-Data-Technologien kann man zum Beispiel analysieren, welche Indikatoren auf eine Kündigung schließen lassen. Ganz offensichtlich ist es, wenn ein Kunde seine Daueraufträge löscht. Aber es gibt auch viele weitere Signale, die darauf hindeuten, welcher Kunde bald kündigt. Wenn man das in der Vergangenheit analysiert hat, kann man diese Eigenschaften in die Zukunft auf Kunden projizieren, die noch nicht gekündigt haben. So kann man täglich bestimmen, welcher Kunde welches Kündigungsrisiko hat und bei Umsatztreibern aktiv dagegen wirken, beispielsweise mit einem interessanten Angebot oder ansprechenden Konditionen.

Wo sind Big-Data-Analysen in Echtzeit gefragt?
Eder: Ein sehr gutes Beispiel ist die Betrugsprävention, denn diese kann man im Grunde nur mit Realtime-Big-Data wirklich gut lösen. Hier schlagen viele Sensorwerte in kurzer Zeit auf und es muss in Sekunden bruchteilen – 300 Millisekunden – bewertet werden, wie hoch das Betrugsrisiko einer Transaktion ist. Nur so kann eine Überweisung angehalten und Missbrauch mit einem Konto verhindert werden.

Anhand von welchen Faktoren wird ein Betrugsfall bemerkt?
Eder: Es sind sehr viele Sensoren, auf deren Basis eingeschätzt wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Transaktion verdächtig ist. Gängig ist ein Abgleich mit dem üblichen Verhalten dieses Kunden. Ein stark divergierendes Verhalten deutet auf Missbrauch hin. Bei einem Verstoß wird oft versucht eine große Summe auf ein bestimmtes Konto zu überweisen – auch mehrmals hintereinander. Wenn ein Betrug sicher erkannt wird, kann eine Transaktion sofort verhindert werden, andernfalls werden weitere Prüfungen angestoßen.

Welche Trends bestimmen die Zukunft?
Eder: Das ganze Banking läuft in Zukunft über viel mehr Kanäle als bisher. Der Trend geht sehr stark in Richtung mobile: Kunden wollen ihre Bankgeschäfte per Smartphone abwickeln. Den Kontostand anschauen kann man vermutlich unterdessen bei jeder Bank, aber zum Beispiel Mobile Payment ist etwas, das in Deutschland bei den Banken noch nicht richtig angekommen ist. Die Echtzeit-Fähigkeit ermöglicht zudem sehr schnelle Reaktionszeiten – beispielsweise auch bei Kreditentscheidungen. Will ein Kunde mit dem Smartphone schnell einen Kredit haben, wartet er nicht bis übermorgen auf die Entscheidung seiner Bank. Vielmehr geht er zur nächsten Bank oder zu einem FinTech, das entsprechend schnell handelt.

Wo besteht Handlungsbedarf?
Eder: Der Datenschutz ist an vielen Stellen ein Hindernis für interessante Big-Data-Technologien. Denn die erhobenen Daten dürfen in Deutschland gemäß Datenschutzgesetz nur für den Zweck verwendet werden, für den sie erhoben wurden. Daran wird aktuell in der politischen Diskussion genagt. Ein gewisses Maß an Datenschutz ist jedoch wichtig und fördert auch das Vertrauen. Denn wenn die Kunden wissen, dass die Banken vertrauensvoll mit ihren Daten umgehen, sind sie auch eher bereit diese für eine 360-Grad-Kundensicht zur Verfügung zu stellen.

Wie kann eine Bank das Potenzial von Big Data ausschöpfen?
Eder: Für eine Bank ist es eher schwer, Big-Data-Technologien aus dem eigenen Know-how einzuführen. Als spezialisierter Dienstleister beschäftigen wir uns seit 2008 mit Big Data und bringen mehrjährige Erfahrung in verschiedenen Branchen mit. Wir kennen uns ausgezeichnet mit Big-Data-Software-Architekturen aus und haben diverse Projekte erfolgreich umgesetzt.

Ihre Prognosen für die Zukunft?
Eder: Eine genaue Vorhersage konkreter Technologien ist per se schwierig. Bill Gates beispielsweise nannte das Internet vor 20 Jahren „einen Hype“. Doch egal, was genau passieren wird, die Digitalisierung rüttelt an fest etablierten Strukturen in der Finanzindustrie. Die Banken tun gut daran, agil auf den Technologiewandel einzugehen. Denn bereits die Musik- und Fotoindustrie haben gezeigt, dass manchmal auch eine komplette Neuausrichtung nötig ist, um den Wandel nicht zu verpassen.

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